Alles Soča oder was?
Du sitzt in deinem Kajak, krallst dich an dein Paddel. Vor dir ein Tosen, das mit jedem Meter, den du zurücklegst, lauter wird. Du siehst es nicht genau, aber du weißt: da kommt etwas auf dich zu. Und es ist übel. Du hörst dein Herz pochen und in Sekundenschnelle ist das Adrenalin in deinem ganzen Körper. Alles was eben noch zwickte und zwackte ist vergessen. Jetzt ist es egal, ob du Fernfahrer, Personalberater oder Ingenieur bist und auch dein Alter spielt ab sofort keine Rolle mehr. Es zählt nur eins: Überleben. Denn am Fluss gibt es kein Zurück. Ein letzter Versuch, sich die Theoriestunde noch einmal ins Gedächtnis zu rufen: was wir am Morgen noch lachend mit Kajakschlumpf-Figuren am Campingtisch durchgespielt haben wird nun bitterer Ernst.
Unser ganzes Vertrauen setzen wir in unsere Boote. Mit unseren nagelneuen Pyranhas, Daggers und Lettmans lassen wir die anderen Paddelgruppen am Fluss mit ihren urzeitlichen Plastikbombern equipmenttechnisch ganz schön alt aussehen. Wir haben unseren Kajaks liebevolle Namen gegeben wie „die dicke Daggi“ oder „die alte Banane“. Den Prius daheim haben wir gegen einen Prijon eingetauscht. Wir sind auf dem Highway to Hell mit Robsonʻs Hells Bells. Und wir wissen: wir können zwar nicht paddeln, aber zumindest sehen wir verdammt gut aus dabei.
Unaufhaltsam treiben wir auf die Stromschnelle zu - unser Kajakguide Jonas paddelt seelenruhig verkehrt mit Blickrichtung zu uns vor uns her. Mit seiner beruhigenden, vertrauensvollen Art erinnert er ein bisschen an die Feng-Shui-Brunnen, die beim Zahnarzt im Wartezimmer stehen. Doch wie der Brunnen beim Zahnarzt kann auch Jonas uns nicht mehr die Angst vor dem nehmen, was nun kommt. Er dreht sich in Fahrtrichtung um: ein letztes Kommando: „Gas, Gas!“ Und ab gehtʻs ins Wildwasser, das - wie wir nun am eigenen Leib spüren - nicht ohne Grund Wildwasser heißt. Wir paddeln energisch durch
die Stromschnellen, das Wasser peitscht uns von allen Seiten ins Gesicht. Wir gleiten über Wellen und Steine - im Visier immer nur eins: das nächste Kehrwasser. Dort angekommen bricht ein Schwall der Erleichterung los. So dürfte sich Vettel gefühlt haben als er den Weltmeistertitel geholt hat. Wahrscheinlich nicht ganz so gut. Begeisterung in jeder Faser des Körpers und plötzlich ist es da: das Verlangen, es wieder zu tun. Vergessen ist der Kajakfahrer, mit dem riesigen Pflaster auf der Stirn, dem wir gestern auf der Campingplatztoilette begegnet sind. Vergessen alle Horrorszenarien, die man sich im Vorfeld ausgemalt hat. Wir wollen mehr.
Auch vor der halben Eskimorolle haben wir nach abermaligem unfreiwilligen Aussteigen bei Kehrwasserausfahrten keine Angst mehr - es gehört fast schon zum guten Ton, einmal Baden zu gehen, auch wenn man danach mehr Wasser in der Nase hat als im Fluss ist. Einige von uns sind zwischenzeitlich gefangen in einer Walze, andere verstricken sich in Auffahrunfälle, manch einer wird heimtückisch vom slowenischen 8-Mann-Rafting- Gummibus überrollt, doch all das tut dem Spaß keinen Abbruch. Die Stimmung ist und bleibt stets hervorragend.
„Immer auf den Stein zusteuern“ erklärt Jonas bei der nächsten Passage. „Auf den Stein zusteuern? Ist das sein Ernst?“, aber wir vertrauen unserem Guide, der uns schon am Vortag souverän bei unseren ersten stümperhaften Kajakgehversuchen begleitet hat und es klappt tadellos. In einem Kehrwasser weiter unten wartend hören wir plötzlich lautes Schimpfen mit starkem schweizer Akzent auf uns zukommen. Es ist Hans aus der anderen Gruppe, der leicht fluchend am Boot von Wolfgang, seinem Guide, festgeklammert an uns vorbeischwimmt. Noch am Vortag hatte Hans zu Ehren des Schweizer Nationalfeiertags und im Zuge unseres Nationalitäten-Kochduells, das wir am Tag 1 der Challenge ins
Leben gerufen hatten, ein exquisites Pilzrisotto für uns gezaubert inklusive Luftballon-, Servietten- und Kerzendeko mit Schweizer Flagge. Nun schwimmt er an uns vorbei - diesmal ganz ohne Deko, denn sein Kajak treibt irgendwo am Fluss weiter oben. Wir können uns ein Lachen nicht verkneifen - Schwimmer sind einfach lustig, solange man nicht grade selbst der Schwimmer ist.
Langsam kommen wir zum Ende der Etappe - eine letzte schwierige Passage bei der wieder einige von uns baden gehen und dann heißt es: Aussteigen am Friedhof. Am Friedhof? Jawohl, denn an der Soča haben die Etappen und Felsformationen so vertrauenserweckende Namen wie „Friedhofsstrecke“ oder „Pastorentöter“, damit man sofort weiß, was hier gespielt wird. Wir steigen also am Friedhof aus uns schultern unsere Kajaks, um sie im Gänsemarsch keuchend den langen und steilen Weg hochzutragen.
„Jeder nur ein Kreuz“ würde Monty Python sagen. Am Ende des Kreuzwegs erwartet uns der Kajakchallengetruck, der unbestritten ein weiteres Highlight darstellt. In den tiefen Weiten dieses blitzblauen Trucks befindet sich nämlich alles, was das Paddlerherz begehrt. Fabelhafte Paddel aller Ausprägungen, grandiose Paddeljacken und fabulöse Schwimmwesten wie zum Beispiel die von Stohlquist, die nicht nur hübsch aussieht, sondern die man - so Guide Wolfgang - auch praktischerweise mit bis zu fünf Müsliriegel nebeneinander bestücken kann. Ob sie dann noch besser schwimmt? Im Truck findet man wirklich alles: einen Safe, einen Kühlschrank, ein fettes Soundsystem. Das heißt man findet alles, nur kein Manikürset wie Guide Wolfgang vor unserem Einstieg in die Soca entsetzt feststellen musste als er sich behelfsmäßig seinen eingerissenen Fingernagel mit einem Stein zurechtfeilte. Ja, unsere Guides sind nicht nur kompetent und lustig, nein, sie sind auch praktisch veranlagt und schön.
Auf der Rückfahrt im Truck sind wir dann noch immer alle vollgepumpt bis zum Anschlag mit Adrenalin. Strahlende Gesichter wohin man sieht, die letzen mitgebrachten Wurstbrote werden gierig verschlungen, laute Musik, ausgelassene Stimmung. Es wird gelacht, gesungen und im Sitzen getanzt. Und da ist es plötzlich wieder: das Gefühl, es wieder tun zu wollen. Ja, heute haben wir die Soča bezwungen. Und auch ein bisschen uns selbst.
Ein Bericht von Magdalena Mitter und der austrobayrischen Paddelgruppe (Helmut, Carla, Thomas, Susi, Mathias und Flo)