Albanien, wir kommen...
Schon seit Wochen hatten wir, die daheim gebliebenen im Büro, Christoph, Klaus und ich auf unseren persönlichen Start der Challenge in Albanien hin gefiebert. Drei Wochen lang verfolgten wir die ersten Fotos und Berichte, die uns aus Korsika, der ersten Station der Challenge erreichten. Wilde Geschichten über Macchia, unkooperative Schweizer Zöllner und einen kurzzeitig ausgefallenen GPS-Sender hielten uns in Atem und steigerten trotz aller Aufregung unsere Vorfreude auf die Ersten Abenteuer, die wir nun selbst in Albanien erleben sollten.
Nach drei Tagen in Albanien kann ich sagen: An Abenteuern mangelt es hier wahrlich nicht... .
Doch der Reihe nach. Am 1. Mai starten wir morgens planmäßig auf den pflegeleichten und abwaschbaren Sitzen einer namhaften irischen Edel-Fluglinie von Frankfurt-Hahn gen Pisa, um uns nach kurzer Busfahrt im nahen Livorno mit dem Challenge-Truck zu treffen, der dort von der Fähre rollen sollte und dies, ebenfalls planmäßig, auch tat. Nach kurzem Flug und zwei Stunden geduldigem warten auf den Bus, der uns von Pisa nach Livorno bringen soll, ist auch dem letzten von uns klar das die italienischen Busfahrer den 1.Mai noch ernst nehmen und heute schön zu Hause bleiben.
Gut, nehmen wir halt den Zug. Wir, das sind neben den erst genannten, auch Clara und Eva. Claras Bruder Stefan, der ebenfalls mit von der Partie sein sollte, fällt im letzten Moment krankheitsbedingt aus. Gute Besserung an dieser Stelle. Nach dieser ersten Hürde klappt aber alles wie am Schnürchen. Picco und Jochen sammeln uns am, übrigens ausgesprochen schönen, Bahnhof von Livorno ein und die Freude ist groß als wir endlich unser Gepäck in der blauen Truck verladen um nach Bari aufzubrechen. Dort wollen wir noch Roger treffen und natürlich auch die Fähre, die uns dann wiederum am Abend des zweiten Mai nach Durres in Albanien übersetzen soll.
Wir beschließen noch am Abend bis kurz hinter Rom zu fahren um dann dort irgendwo ein Paar Stunden zu schlafen und dann den Rest zur Fähre zu fahren. Immerhin sind es von Livorno nach Bari gut 800 Kilometer. Bei einer Reise Geschwindigkeit von 80 Sachen eine echte Distanz. Picco, geübter Busfahrer, fährt die ersten Stunden locker runter und im Bus kehrt schläfrige Ruhe ein. Blinzelnd nehme ich auf dem Beifahrersitz plötzlich die Lichthupe von Italienern wahr, die sich gleichzeitig weit aus dem Fenster lehnen und freundlich winken.
„Nett die Italiener“ denke ich mir. „Und das mitten in der Nacht.“ Irgend wie komisch. Vielleicht wollen die was? „Die wollen irgend was“, sagt Picco vom Fahrersitz aus. „Ob die Boote noch fest sind? Ich halt mal kurz an und schau nach.“ Mir dämmert langsam das die Italiener möglicherweise doch nicht nur nett sind, schon gar nicht all die anderen, die ebenfalls kräftig winkend und lichthupend und auch gar nicht mehr so freundliche non-verbale Kommunikation mit uns betreiben. Während ich also noch über die Italiener sinniere, hat Picco mittlerweile auf dem Seitenstreifen gehalten und ist aufs Dach geturnt. Es rappelt und schuppelt auf dem Dach und eindeutige Gurt-Spann Geräusche von oben lassen auf lose Gurte schliessen. Kurz darauf ist Picco zurück: . „Schlechte Nachrichten, eins ist weg“. Adrenalin strömt in meinen Körper. Ein Boot auf der Autobahn verlieren - das ist gar nicht gut. „Das muss schon in der scharfen Kurve vor etwa drei Kilometern passiert sein.“
Ok, jetzt keine Panik. Wir beschließen an der nächsten Ausfahrt raus zu fahren, zu wenden, zurück auf die Bahn, nächste wieder runter, wieder drauf und schon müssten wir ja an der gemeinen Kurve sein, die das Boot vom Dach geschubst hat. Christoph tippt die Kurve ins Navi ein und flucht: „Scheiße, 35 Kilometer!“ Doch wir haben keine Wahl.
Gespannte 35 Kilometer später erreichen wir die vermeintliche Verluststelle. Die Gute Nachricht: Keine Cabriofahrer mit blauem Auge die uns an die Gurgel wollen. Die Schlechte: Kein Boot! Per Suchscheinwerfer scannen wir gründlich die Kurve doch es hilft nichts.
Das jungfräuliche Boot bleibt nach dem Boof seines Lebens verschollen. Vermutlich gekidnappt von der Camorra. Da wir nicht vor haben uns mit der italienischen Mafia anzulegen und auch gar nicht so genau wissen an wen man sich dafür wenden müsste, beschliessen wir schweren Herzens das Boot aufzugeben. Sein Leben in Freiheit war kurz, der Abgang aber spektakulär. Und da die Mafia aber bestimmt keinen ordentlichen Bogenschlag kann, wird sie keinen Spass an dem Boot haben. Diese Gewissheit bleibt uns. Ha! Wir suchen also erst mal einen Penn-Spot für die Nacht. Der Schlafplatz ist schnell gefunden, das Hundegebell in der Nacht auf der Weide nebenan jedoch ohrenbetäubend.
Doch egal, Albanien wartet und schlafen wird eh allgemein überbewertet. Der Rest der Fahrt verläuft störungsfrei und am nächsten Nachmittag kommen wir in Bari an. Roger wartet bereits und wir kommen unserem Ziel immer näher: Albanien! Eine letzte Hürde wartet jedoch noch vor der Pforte ins gelobte Land: Die italienische Guardia di Finanza. Sozusagen die uniformierte Ausgabe der Camorra. Und diese hat nichts besseres zu tun, als genüsslich den Wagen vor uns, der ein Quad auf einem Anhänger geladen hat, gründlichst auseinander zu nehmen. Nach unseren Erfahrungen an der Schweizer Grenze schwant uns schreckliches, Lieferscheine, Zollabfertigungsdokumente, eine ohne uns abfahrende Fähre...
Nun sind wir an der Reihe, unmissverständlich wird Picco, mal wieder der Fahrer, aus dem Truck befohlen um die Ladeklappen zu öffnen, die Traube von Guardia di Finanza, Polizia Frontiere und Carabinieries wird schlagartig größer. Christoph steigt auch aus und erklärt in bestem Ruhrpott Italienisch, das wir auf einer unglaublich wichtigen internationalen Expeditionsreise mit Kajaks sind und deutet auf die Kajaks, ausserdem betont er wir seien eine „Gruppo Sportivo“. Der Beamte der Polizia Frontiere versteht vollkommen und sagt seinen Kollegen das wir, entgegen der äusseren Erscheinung, vermutlich ungefährlich sind und ungeschoren passieren sollen. Doch die anderen Offiziere sind noch unschlüssig. Schnell wird ein Flyer der Kajakchallenge mit der Tourroute aus dem Fenster gereicht, „ohha, hmmm, tssssss, perfecto!“ Gebührende Anerkennung wird uns entgegen gebracht und wir werden freundlich und mit Schulterklopfen verabschiedet. Puh!
Nun aber pronto! Schnell auf die Fähre. Unser in die Jahre gekommener Kreuzfahrtcruiser ist in nach Panama ausgeflaggt worden und dümpelt an der Kaimauer. Leider werden wir als Lückenbüßer für mazedonische LKW behandelt und müssen bis kurz vor Abfahrt warten. Doch dann wird alles gut, wir „sind drauf“, die Fähre legt ab, die Nacht umhüllt uns und wir dampfen über die Adria.
Am Morgen dann Augen auf, der Blick schweift über die Reling aufs ruhige Meer, die Fähre schaukelt sanft in den Wellen, drüben am Horizont, Nebelschwaden gleiten auseinander, Land in Sicht, Albanien!
Gespannt erwarten wir das unbekannte Land. Die Grenzkontrolle ist unerwartet unproblematisch, wir sind grad raus aus dem Zoll und endlich auf der Piste Richtung Berge. Doch dann, die Straße teilt sich undurchsichtig, wir fahren rechts und landen wieder im Zollbereich, dummerweise ist das auch noch eine Einbahnstraße. An einem Nebentor versuchen wir unser Glück, die Wachen sind nett und das Prozedere unverständlich. Wir sollen auf die LKW Liste der Fähre warten und dann könnten wir wieder raus. Aber das kann dauern! Nach einigem Geplauder und letztendlich einer Hand voll Euro Trinkgeld öffnet sich das Tor tatsächlich und wir sind frei! Albanische Flüsse, wir kommen!