Noguera Pallaresa
Nachdem Marcus und ich im Juli auf dem Inn unsere Wuchtwasser-Fähigkeiten trainiert haben, entscheiden wir uns für den Saisonabschluss in den spanischen Pyrenäen. Wir trödeln relaxed über mehrere Tage durch Frankreich südwärts, besichtigen alte Städtchen, Kathedralen und Schlösser und erreichen schließlich am Samstagabend den kleinen Ort Sort. Als wir die Brücke überqueren, blicken wir in milchkaffeebraune Fluten – es hatte den ganzen Tag ordentlich geregnet. Dies sollte jedoch der letzte Regen für die nächste Woche sein, wir werden sieben Tage lang mit strahlendem Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen verwöhnt.
Auf dem Campingplatz beziehen wir - wie einige andere Kajakchallenge-Teilnehmer auch - ein Mobilhome, während die Hartgesottenen ihre Zelte aufschlagen. Der blaue Kajakchallenge-Truck steht unübersehbar am Ende des Campingplatzes und nach und nach finden sich die insgesamt 15 Teilnehmer der Paddelwoche ein.
Den Tagesrhythmus der folgenden Tage gibt der Fluss vor: die Wasserführung des Noguera Pallaresa ist kraftwerksabhängig, pünktlich mittags öffnet der oberhalb gelegene Stausee das Wehr, so dass je nach Einsatzort ab 12 Uhr, 14 Uhr oder erst ab 16 Uhr Paddeln angesagt ist. Da die Sonne auch erst gegen halb elf den Bergrücken erklimmt und ihre wärmenden Strahlen ins Tal schickt, ist Ausschlafen und spätes Frühstück angesagt – sehr entspannt.
Am Sonntag wird nach dem Frühstück erst mal das Material an die Teilnehmer verteilt. Die meisten sind mit Flugzeug und Mietwagen angereist, mit dementsprechend leichtem Gepäck. Es steht ja alles an Material zur Verfügung, auch sehr entspannt. Marcus und ich haben zwar die persönliche Ausrüstung ins Auto geworfen, auf den Transport der Boote aber verzichtet. Ich suche mir einen Dagger Nomad aus, Marcus entscheidet sich für einen Pyranha Karnali.
Unter Leitung von Kanulehrer Picco geht es direkt am Campingplatz los. Etwas misstrauisch teste ich die Fahreigenschaften des mir ungewohnten Bootes, nach einigen Kehrwässern freunde ich mich schnell mit dem Nomad an.
Auf flotter Strömung und kleinen Wellen geht es Richtung Sort, wo wir bald ein silbrig schimmerndes Gespinst aus Schnüren über dem Fluss entdecken – die Slalomstrecke ist erreicht. Picco gibt uns einige Linien vor, die wir mehr oder weniger erfolgreich nachpaddeln. Marcus muss schon mal die Rolleigenschaften des Karnali testen – klappt!
Am Ende der Slalomstrecke gibt es eine Blockwurfstufe, danach folgen zwei Walzen, die den ersten Schwimmer fordern. Nachdem ich bei meinen Vorpaddlern beobachtet habe, dass die geforderte Anfahrt des Kehrwassers hinter der ersten Walze eine höchst wacklige Angelegenheit zu sein scheint, entscheide ich mich dafür, direkt durch zu fahren.
Es geht mit mal mehr, mal weniger wuchtigen Wellen und kleinen Schwallstrecken relativ entspannt weiter, bis wir die erste Kernstelle erreichen. An einer Insel teilt sich der Fluss in zwei Arme. Der linke Arm auf der rechten Seite ist zu befahren, ein weiß schäumender Katarakt. Picco möchte zudem, dass wir am oberen Ende der Insel noch ein Kehrwasser anfahren. Zu unserem Erstaunen gelingt uns das auch.
Nachdem alle erfolgreich den Katarakt gemeistert haben, geht es wieder etwas ruhiger weiter, bis eine weitere Insel die nächste schwere Stelle ankündigt. Auch hier heißt es wieder linker Arm, rechte Seite, der Katarakt ist noch etwas steiler und wuchtiger als der erste. Mein Nomad will lieber in der Mitte fahren, wo die großen Löcher sind und ich kämpfe verbissen, komme schließlich heil unten an. Wir warten hier auf die beiden anderen Gruppen von Matthieux und Till, um zu sichern und gegenseitig helfen zu können.
Nach 14 Kilometern erreichen wir die Bogenbrücke von Garri de la Sal, wo wir gutgelaunt die Fahrt beenden.
Am nächsten Tag steht für Matthieux’s und unsere Gruppe die obere Strecke von Llavorsí nach Sort auf dem Programm. Auf ebenfalls 14 Kilometer Länge geht es hier noch mal wuchtiger und schneller zu als auf der unteren Strecke. Manni darf den Vorpaddler geben und rät uns vorher: „Wenn es scheiße aussieht, woanders lang fahren!“ Flott geht es durch diverse Schwallstrecken voran, bis wir die Kernstelle erreichen, ein steiler Katarakt, den wir erstmal besichtigen. Die rechte Linie soll die einfachere sein, auf der linken Seite gibt es nach der ersten steilen Stufe ein kleines Kehrwasser für Helden. Die Mitte soll man meiden, dort liegen ein paar fette Steine und dicke Walzen. Meine innere Heldin hat sich zurückgezogen, ich entscheide mich für die rechte Seite. Wieder will mein Nomad lieber in die Mitte und ich muss ordentlich kämpfen, komme aber mit ein paar Wacklern durch. Ilka und Manni versuchen sich als Helden und peilen das Kehrwasser an. Dieses verteidigt seinen Ruf und schickt beide baden, wobei Manni, der Rollator nach mehreren (!) Rollen schließlich im Boot sitzend unten ankommt. Marcus und Eva entscheiden sich für die linke Linie ohne Kehrwassereinfahrt und kommen gut durch.
Nach einem kurzen ruhigeren Stück folgen immer wieder Schwälle mit richtig hohen Wellen, kleinen Walzen, Löchern, knapp überspülten Felsen und Verschneidungen – alles was das Paddlerherz höher schlagen lässt. In einer langen, leicht verblockten Schwallstrecke geraten wir immer dichter aufeinander, bis Ilka, Eva und ich schließlich einen „Kajakverhau“ produzieren, der Eva und mich schwimmen schickt. Eva beherrscht zum Glück die Kunst der Selbstrettung perfekt, während ich Piccos Dasein als Kanulehrer mal wieder Sinn verleihe.
Weitere Kernstellen folgen wie eine dicke Walze und ein S, dass wir zwar nicht technisch einwandfrei, aber immerhin trockenen Hauptes herunterkommen, dann lassen die Schwierigkeiten allmählich etwas nach. Nach einer Pause auf einer sonnigen Sandbank schaukeln wir gemütlich die restlichen Schwälle herunter, folgen Picco über den perfekten Boofstein und erreichen schließlich das große Wehr oberhalb von Sort. Die Mutigen wagen sich die Schrägrutsche hinunter, an deren Fuß eine große Walze steht. Seit einiger Zeit haben wir schon gemerkt, dass oben am Stausee der Hahn zugedreht worden ist, der Wasserstand sinkt sichtlich. Aber jetzt sind es nur noch 500 Meter bis zum Ausstieg direkt am Camp.
Dienstag ist die Befahrung der landschaftlich einzigartigen Schlucht Congost de Collegats geplant. Da das Wasser erst um vier Uhr nachmittags am Einstiegsort in Gerri de la Sal sein wird, bieten die Kanulehrer vorher noch Übungen mit Wurfsack, Abseilen oder Rolltraining im Pool des Campingplatzes an. Marcus und ich entscheiden uns fürs Chillen auf der Terrasse unseres Mobilhomes, die jetzt im angenehmen Schatten liegt.
Als wir in Gerri de la Sal unter der Bogenbrücke starten, guckt Picco mich zum Vorfahren aus. Irgendwie hatte sich die Botschaft verbreitet, dass die Schluchtstrecke wildwassertechnisch einfach sei. Die ersten drei bis vier Kilometer überraschen uns daher mit wuchtigen Wellen und Schwällen bis zum dritten Grad. Mit der Einfahrt in die eigentliche Schlucht lassen die Schwierigkeiten aber spürbar nach, so dass der Landschaftsgenuss im Vordergrund steht: senkrechte Felswände in warmen Rotbraun-Tönen, Schleierwasserfälle und über uns kreisen die Geier. Immer neue bizarre Felsformationen verlangen nach Fotostopps. Nach acht Kilometern erreichen wir sehr zufrieden die Aussatzstelle.
Am Mittwoch ist der wohlverdiente Pausentag, den einige zum Wandern, andere zum Chillen und Marcus und ich zum Besuch der mittelalterlichen Altstadt von La Seu d’Urgell nutzen.
Donnerstag geht es wieder auf den oberen Abschnitt ab Llavorsí, diesmal mit allen drei Gruppen. An der ersten Kernstelle treffen wir uns alle. Diverse Paddler versuchen sich mit unterschiedlichem Erfolg an dem linken Heldenkehrwasser. Ich halte mich an die für mich bewährte rechte Seite, treffe allerdings in der Ausgangstufe genau die Verschneidung, die ich meiden sollte und stelle fest, dass der Nomad auch kerzen kann. Bei meinem zweiten Rollversuch ist Matthieux mit einer helfenden Hand zur Stelle, so dass mir der Schwimmer erspart bleibt. Wir halten uns eine ganze Weile an dem Katarakt auf, einige tragen noch mal hoch, um ihr Glück ein zweites Mal zu versuchen. Zu unserer Verwirrung taucht plötzlich Piccos Boot – ohne Picco, aber mit Paddel drin – an der oberen Kante des Katarakts auf und macht sich an die Befahrung. Soll das eine Rettungsübung für und sein? Wir fangen Boot und Paddel ein, wenig später kommt Picco runtergeklettert. Der weiter gestiegene Wasserstand hatte sein Boot oben vom Ufer gespült. Na gut, dass wir da waren! ;-)
Auf der restlichen Strecke achte ich auf Grund der Erfahrungen vom ersten Mal auf ausreichenden Abstand zu meinen Mitpaddlerinnen und Mitpaddlern. Ich habe den Nomad jetzt gut im Griff und komme locker die diversen Schwallstrecken, Walzen und Wellen runter. Mit zufriedenem Grinsen im Gesicht steigen wir am Campingplatz aus.
Abends am Lagerfeuer auf der Kiesbank werden noch mal die verschiedenen Linien diskutiert. Marcus lässt sich von Till detailliert erklären, wie man das Heldenkehrwasser im ersten Katarakt anfahren müsste. Das nächste Mal würde er das auch versuchen, aber morgen am letzten Tag fahren wir ja sicher noch mal die untere Strecke.
Aber zu unserer Überraschung ist am Freitag nochmals die obere Strecke angesagt! Nun muss Marcus seine vollmundige Ankündigung einlösen. Offensichtlich setzt er Tills Ratschläge erfolgreich um und parkt völlig mühelos in dem Kehrwasser ein. Leider ist das Einfahren nur die halbe Miete, beim Ausfahren in die wuchtige Strömung schmeißt es ihn um, der Rollversuch mitten im Katarakt scheitert und beschert Marcus den einzigen Schwimmer in dieser Woche. Aber immerhin war er drin im Heldenkehrwasser!
Ich habe bei der dritten Befahrung die perfekte Linie für die rechte Seite gefunden und komme mühelos runter. Allerdings habe ich ansonsten heute mehr Schwierigkeiten in den wuchtigen Schwällen. Der Wasserstand ist deutlich höher als an den vorausgegangenen Tagen, meine Kraft und Motivation allerdings niedriger. Das passt nicht gut, und ich „verfahre“ mich andauernd in den Schwällen, treffe die Linie nicht, plumpse in Löcher und in Walzen. Der Nomad ist glücklicherweise sehr gutmütig und zieht mich überall wieder durch. Bis Picco unerwartet vor mir an einem Stein hängen bleibt und ich über ihn stolpere und schwimmen gehe. Immerhin leert er danach reuevoll mein Boot wieder aus.
Auch die dicke Walze auf der Strecke fordert bei dem heutigen Wasserstand einige Opfer – unter anderem Eva und ich gehen schwimmen. Dafür läuft uns heute nicht das Wasser unter dem Boot weg und wir erreichen auf munteren Schwällchen und ohne Steinkratzerei das Camp.