Tag 2 – Technisch und verblockt
Der Wetterbericht prognostizierte den Durchzug einer „Störung“ mit Gewittern und heftigem Wind. In der Tat hatte es die ganze Nacht über geregnet. Im Laufe des Vormittages setzte sich die Sonne durch und half, unsere Kajakklamotten zu trocknen. Nach einer theoretischen Einführung in das Thema „Wuchtwasser“ und seine spezifischen Gegebenheiten (Wellen, Walzen und Polster) machten wir uns gegen Mittag auf den langen Weg in das angrenzende Engadin.
Dem Inn flußaufwärts folgend überquerten wir die Grenze zur Schweiz, erregten völlig unerwartet die Aufmerksamkeit eines Schweizer Grenzbeamten und warfen gelegentliche, respektvolle Blicke auf die Finstermünsterschlucht. Zur Auswahl standen je nach Wasserstand entweder ein Flussabschnitt entlang der Scuolser Schlucht oder der Zernezer Strecke. Da der Wasserstand nach Meinung von Picco für Letzeres nicht ausreichen werde und man noch weiter hätte fahren müssen, sollte die Scuolser Schlucht befahren werden.
Laut Literatur handelt es sich um „wuchtiges Wildwasser“ mit drei herausragenden Katarakten (WW 3 mit Stellen WW 4). Vom Truck aus auf dem Weg zur Einstiegstelle „einige Kilometer oberhalb von Scuol“ erschien das Ganze gar nicht so schwierig. Aber auf dem Fluß sieht bekanntlich alles anderes aus. Die Kombination aus einer nicht unerheblichen Verblockung und einer gewissen Wasserwucht erwies sich bei der Befahrung rasch als relativ tricky. Das vergleichsweise enge, kurvige und nur abschnittsweise einsehbare Flusstal trug nicht zu meiner Beruhigung bei.
Schon kurz nach dem Einstieg folgte der erste von drei Katarakten. Nach einer ausgiebigen Besichtigung entschlossen sich einige von uns, Picco folgend einzeln einen Befahrungsversuch zu wagen. Befürchtungen hegte ich vor allem in Bezug auf die Einfahrt in den Katarakt, wo eine kleine Welle/Walze das Konzept hätte vereiteln können. Auf Piccos Spuren erwies sich die Befahrung jedoch als deutlich einfacher als befürchtet. Augenzeugen berichteten von einem fetten Grinsen, das sie im Auslauf des Kataraktes auf meinem Gesicht gesehen haben wollen.
Vom Erfolg beflügelt tänzelten wir flußabwärts zu einer harmlos aussehenden Stufe. Schon weitem sah ich Susas Boot kieloben im Auslauf treiben und schreckte hoch. Unmittelbar in der Stufe folgte ich ihrem Beispiel und kippte auch mal wieder. Wildwasserfahren ist halt eine komplexe Sportart, die neben der Fähigkeit, die Situation richtig einzuschätzen auch motorisches Geschick erfordert, um schnell angemessen reagieren zu können. Ein Prallpolster erkennen ist das Eine – richtig Reagieren das Andere.
Leider misslangen auch diverse Rollversuche, so dass ich mich notgedrungen zum Ausstieg entschloss und bei der folgenden Schwimmeinlage sehr schmerzhaft Bekanntschaft mit diversen im Fluss liegenden Felsblöcken schloss. Dabei ging auch mein Paddel verloren, und die Befahrung der Scuolser Schlucht in meinem Fall an der „Funtana Bonifacius“ endete. Hierbei handelt es sich um eine stark frequentierte Heilquelle, deren Wasser wir später verkosteten. Schmeckt ähnlich schlecht wie das Wasser des Inn.
Susa brach die Befahrung an dieser Stelle freundlicherweise ab, um mir Gesellschaft zu leisten. Wir verbrachten rund drei Stunden mit Sonnen auf einer Fußgängerbrücke und diversen Lockerungsübungen für die geprellten Rückenmuskeln. Währenddessen fiel der Pegel um rund einen halben Meter. Schade, dass er uns diesen Gefallen nicht schon vorher getan hatte. Nächstes Mal nehmen wir etwas zum Lesen mit und warten – darauf, dass der Pegel fällt oder auf den Rückholservice. Die anderen setzten die Befahrung der Scuolser Schucht bis zum Eingang des letzten Kataraktes fort. Dem Vernehmen nach soll der Fluß noch das eine oder andere Opfer gefordert haben.
Die Wertung dieses Streckenabschnittes fiel naturgemäß unterschiedlich aus. Während ich diesem Abschnitt auch bei rückblickender Betrachtung nicht allzuviel Positives abgewinnen konnte, waren andere Gruppenmitglieder begeistert. Ist halt alles eine Frage der Perspektive. Soweit es mich betraf, konnte es nur besser werden. Das wurde es auch, denn Jan bereitete das Abendessen zu.
juergen