Tag 4 – Ruhetag
Der Alptraum aller Kursteilnehmer wurde wahr. Ein Ruhetag stand auf dem Programm. Eine gewisse Ratlosigkeit machte sich breit. Was soll man bei zweifelhaften Wetterverhältnissen mitten in den Tiroler Alpen tun, wenn man nicht Paddeln darf/will/soll? Flyer an der Rezeption, Reiseführer und Karten wurden gewälzt.
Die Gruppenmitglieder fanden unterschiedliche Antworten auf diese drängende Frage. Wir entschieden uns zu einer kurzen Radtour entlang des Inntalradweges, der Teil der Via Claudia Augusta ist. Hierbei handelt es sich um einen Fernwanderweg, der von Augsburg aus dem Verlauf einer römischen Straße folgend über/durch die Alpen führt. Der Radweg zeichnet sich rund um Landeck/Prutz durch moderate Steigungen aus und folgt befestigten Nebenwegen. Am Himmel zeigten sich über dem Engadin beeindruckend dunkle Regenwolken. Am Einstieg zur Tösener Schlucht entschlossen wir uns daher zur Rückkehr auf den Campinglatz. Unsere eingehenden Blicke auf die sog. „Tösener Schlucht“ erhöhten nicht gerade unsere Neigung, diesen Abschnitt des Inn bei sommerlichen Wasserständen vom Boot aus zu erkunden. Zahlreiche hohe Wellen, fies aussehende Walzen und diverse Felsen ließen den Abschnitt anspruchsvoll erscheinen. Mangels geeigneter Kehrwässer im Bereich der Schlucht wäre ggf. mit längeren Schwimmeinlagen zu rechnen.
Etwas ernüchtert radelten wir zurück zum Campingplatz. Dort angekommen sahen wir uns einer strahlend aus den Wolken hervor lugenden Sonne gegenüber. Bei so gutem Wetter konnten wir natürlich nicht am Campingplatz abhängen, zumal dort schon zahlreiche Kids herum lärmten. Also bestiegen wir wieder unsere Räder und radelten talwärts in Richtung Landeck. Auf dem Weg dorthin gibt es in der Gemeinde Fließ ein Archäologisches Dokumentationszentrum, in dem Überreste des Römischen Verkehrswesens ausgestellt werden. Genau das Richtige, um auch mal etwas für die Bildung zu tun.
Knapp oberhalb der Staumauer im Inn nahmen wir einen Abzweig in Richtung Hauptstraße und entdeckten nach langem Suchen einen Wanderweg, der oberhalb der Straße entlang stark ansteigend in Richtung Fließ führte. Auch römische Reisende sollen ihre Pferde gelegentlich am Zügel geführt haben. Mit unseren Mountainbikes am Zügel wanderten wir über Wiesen und Weiden und genossen den Ausblick auf das Inntal und die umliegenden Bergketten. Unter uns rauschte der Inn, über uns zogen Wolken vorüber. Schnaufend gewannen wir langsam an Höhe und erreichten einen Abzweig in Richtung Fließ. Hinter einer Biegung lugten seltsam aussehende Tiere mit plüschigem Fell in unterschiedlichen Farben hervor. Kühe waren es eindeutig nicht, Schafe auch nicht. Handelte es sich womöglich um die Nachzüchtung einer von den Römern eingeführten Species?
Bei näherem Hinsehen entpuppten sich die seltsamen Wesen als Lamas. „Beissen die ?“, wollte Susa wissen. „Nee, aber angeblich spucken sie“ antwortete ich. Sie taten weder das Eine noch das Andere. Zahlreiche Fotos später wurden wir von einem Jungtier kritisch beäugt und beschnüffelt. Mein mountainbike erregte dabei besonderes Interesse. Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte ich meinen Neo getragen.
Unser Weg mündete in eine Serpetinenstraße, die wir unter Aufbietung aller Gänge am bike bewältigten. Deutlich wurden wir daran erinnert, dass man bei Kettenschaltungen auch in diesem Jahr nicht unter Last schalten sollte. Endlich standen wir an einem öffentlichen Brunnen, konnten unsere verölten Finger säubern und das Dorfzentrum scannen. Tatsächlich fand sich im Untergeschoß eines modern anmutenden Gebäudes das archäologische Dokumentationszentrum. Leider war diese Woche geschlossen.
Da der kulturelle Teil dieser Woche damit ein ebenso unverdientes wie abruptes Ende fand, rollten wir die Serpentinenstraße abwärts, testeten unsere Bremsen und erreichten schließlich eine der zahlreichen Brücken über den Inn. Von dort aus konnte man auf den Einstieg in das „Hohe Gericht“ schauen. Noch ein Abschnitt des Inn, der so gar nicht in mein Beuteschema passt.
Nach so viel Aktion beschlossen wir, den Tag mit einem gemeinsamen Abendessen in Prutz ausklingen zu lassen. Wir landeten in der „Gemse“ und verzehrten genüsslich diverse landestypische Gerichte, während sich draußen die ersten Gewitter entluden. Das Tröpfeln des Regens verstärkte sich zu einem anhaltenden Prasseln. Anders als in den Vortagen war auch nicht nach zehn Minuten Schluß. Ein Gewitter folgte auf das nächste und kleine Bäche rauschten in den Spurrinnen der Dorfstraßen in Richtung Inn. Im Hotel wären noch Zimmer frei gewesen. Zu meinem großen Bedauern mochte Susa dieser Möglichkeit jedoch nicht näher treten. Eilig stiefelten wir durch große Pfützen zurück zum Campingplatz.
Auf dem Campingplatz sah es nicht besser aus. Susa verzog sich in den Schlafsack, ich lungerte mit den anderen im Küchenzelt herum und lauschte ziemlich trübsinnig dem Prasseln des Regens. Genau so hatte ich mir Camping in den Nordalpen vorgestellt. Mit Schaudern dachte ich an einen kalten, klammen Schlafsack. Plötzlich öffnete sich die rückwärtige Wand des Küchenzeltes. Susa stand im Durchgang. Ob wir nicht vielleicht für eine Nacht in das Hotel gehen sollten, wollte sie wissen. Eilfertig sprang ich in meine Schuhe. Durch strömenden Regen joggten wir zum Hotel „Gemse“. Dort standen wir erwartungsgemäß vor verschlossenen Türen – schließlich waren wir die letzten Gäste im Restaurant gewesen. Einige Häuser weiter fanden wir das Hotel „Rose“, das überraschenderweise noch nicht geschlossen hatte. Völlig nass wirkten wir wahrscheinlich sehr präsentabel. Eine Zahnbürste hatten wir auch nicht dabei. Aber es wurden glücklicherweise keine Fragen gestellt. Statt im Zelt nächtigten wir in Zimmer 101, räkelten uns in weißen Laken und schlummerten selig, während draußen der Regen rauschte.
Prima waren auch trockene Handtücher und der gedeckte Frühstückstisch am nächsten Morgen. Ein bisschen gekränkt war ich allerdings, als die energische Dame an der Rezeption Barzahlung forderte und meine EC-Karte nicht akzeptieren wollte. Sahen wir womöglich nicht kreditwürdig genug aus?
Diese Frage zu vertiefen lohnte sich nicht, denn an Tag 5 war endlich wieder Paddeln angesagt. Vielleicht wird irgendwann in den nächsten Tagen auch das Wetter etwas sommerlicher.
juergen