Tag 6 last run
Viel zu schnell brach der Morgen des letzten Tages unserer Woche bei der Kajakchallenge an. Dem heftigen Unwetter in der Nacht zum Vortag war eine vorübergehende, wenn auch verspätete Wetterberuhigung gefolgt. Das Nordalpenwetter erwies sich als launisch und meine Laune sank bei der Aussicht, das morgendliche Jogging doch tatsächlich bei Dauerregen absolvieren zu sollen, rapide in den Keller. Ziemlich muffig hockte ich deshalb auf der Terrasse des „Camping-stüberls“, starrte auf die wolkenverhangenen Berge rundum und wartete darauf, dass sich der Regen der Prognose folgend verziehen möge. Tatsächlich tat er mir diesen Gefallen vorübergehend.
Auch Picco schien nicht gerade amüsiert über den neuerlichen Regen zum Frühstück zu sein. Wir saßen im Küchenzelt, nippten am Kaffee, verspeisten Kantwurst mit Semmeln und schauten unseren Kajaklehrer erwartungsvoll an. Wohin würde er uns heute führen? In das Engadin wegen der langen und kostspieligen Anfahrt wohl eher nicht; die Tösener und die Landecker Schlucht würden wegen des hohen Wasserstandes ebenso ausfallen wie die Imster Schlucht. Der Innabschnitt zwischen der Mündung der Sanna und Schönwies solle es sein, verkündete Picco schließlich nach dem Frühstück.
Da mithin nichts Aufregendes anstehen würde, verzichtete ich darauf, meinen völlig durchnässten Long John mitzunehmen und griff statt dessen tief in die Tasche mit den mitgebrachten Kleidungsstücken. Dort fand sich statt des nassen Neos eine Neo-hose, die man im Wuchtwasser zwar nicht tragen sollte, die aber den unschätzbaren Vorteil aufwies, trocken zu sein. Derart gut ausgestattet kletterten wir ein letztes Mal in den Truck und röhrten in Richtung Landeck. Mitten in Landeck überraschte uns Picco mit der Mitteilung, dass wir zunächst noch zur Einstiegstelle der Sanna fahren würden, weil er mit Joachim noch schnell die Sanna paddeln wolle.
Am Einstieg in die Sanna trafen wir eine deutsche Paddlergruppe, zu der auch ein Mitglied einer bekannten Kajakdynastie vom Niederrhein zählte. Nur zu gerne nahm ich das Angebot wahr, Joachim und Picco bei der Tour auf der Sanna zu begleiten. Dem Augenschein nach schien der Wasserstand gegenüber dem gestrigen first run ein wenig gesunken zu sein, aber je länger ich während der Wartezeit auf den Fluss starrte, desto unsicherer wurde ich mir in meiner Wahrnehmung. Sollte der Pegel tatsächlich minimal gefallen sein, würde dies im Zweifel keine wesentlichen Auswirkungen haben.
Beim Einstieg auf den Fluss war die zwischenzeitlich verloren gegangene Konzentration nach den ersten Wasserspritzern wieder da. Anders als das Tourenpaddeln auf mehr oder weniger langweiligen Gewässern erfordern Flüsse wie die Sanna zumindest von mir eine stete Konzentration. Darin liegen sowohl der Reiz wie auch das Anstrengende an solchen Unternehmungen. Hat man einmal das richtige Maß an Konzentration, Entschlossenheit und Mobilität gefunden, scheint alles wie von selbst zu gehen. Die Sinne sind geschärft und Eindrücke werden sehr viel intensiver wahr genommen als im „Alltagsmodus“. Die Zeit scheint still zu stehen und Körper, Geist und Seele agieren für einen Moment als Einheit. Man spürt auf eine unmittelbare Art und Weise, dass man lebt – ein Gefühl, das anstrengt, aber nicht weniger süchtig macht als der Endorphinrausch beim Ausdauersport.
Auf dem Fluss konnte ich hinsichtlich der Wassermenge/des Wasserdrucks keinen Unterschied zum gestrigen Tag ausmachen. Nach wenigen Metern stellte Hasi stellte erleichtert fest, dass Tiger sich entschlossen hatte mitzufahren und das Kommando übernahm. Picco variierte seine Linie an einigen Stellen, boofte über Felsen, durchquerte Walzen und drehte sich mit forschendem Blick zu uns um. Meist folgten wir seiner Linie. Wenige Male nahm ich mir die Freiheit, den Stein zu umfahren, statt über ihn hinweg zu fahren. Manches erschien schon vertrauter. Der Pianser Schwall aber flößte nicht weniger Respekt ein als am Vortag. Tiger war entschlossen, nicht ernsthaft nass zu werden und wir gelangten ohne Zwischenfälle durch den Schwall. Viel zu rasch näherten wir uns Landeck, wo die übrigen Mitglieder der Gruppe auf uns warteten. Gemeinsam bewältigten wir das Wehr an der Mündung der Sanna und setzten unsere Fahrt auf dem Inn fort.
Ungefähr an dieser Stelle hatte Tiger keine Lust mehr und ließ Hasi und mich allein im Kajak zurück. Entsprechend unmotiviert dümpelten wir auf dem Inn bei knackigem Wasserstand flussabwärts und mochten uns nicht auf die von Picco vorgeschlagenen Übungen im Surfen einlassen. Stattdessen steuerten wir zahlreiche Kehrwässer an, denn so kräftige Verschneidungen gibt es in unseren Regionen eher selten. Schließlich erreichten wir unsere Ausstiegstelle und kehrten in das Camp nach Prutz zurück. Ich war richtig platt.
Spätestens beim gemeinsamen Abbau des Kajakchallengecamps wurde uns bewusst, dass unsere Woche auf Tiroler Gewässern damit schon vorbei war. Das war richtig schade !!! Es hat großen Spaß gemacht, „richtige“ Wildwassergewässer weitestgehend angst- und stressfrei kennen zu lernen. Auch wenn es sich nicht um einen Kajakkurs im herkömmlichen Sinne handelte, habe ich das Gefühl, eine Menge gelernt zu haben. Dazu trug neben der kompetenten und überaus sympathischen Gruppenleitung durch Picco sicher auch die weitgehend homogene Teilnehmergruppe bei. Lediglich das Wetter im Inntal lud auch im Sommer nicht gerade zum Zelten ein. Aber es muss auch nicht immer das Inntal sein. Wir freuen uns auf eine Fortsetzung – irgendwo irgendwann.
juergen