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Wiedergeburt am Shala

08.05.2011 von Christoph aus Essen

Es gibt Momente im Leben die man nicht vergisst. Und noch viel eindrücklicher brennt sich   eine Auferstehung in das menschliche Gehirn ein. Der Körper, die Seele werden unendlich leicht, süße Schutzengel umflattern Dich und eine leise sphärische Melodie erklingt in Deinem Ohr, Du verspürst weder Hunger noch Müdigkeit, weder Schmerz noch Leid, jeder Atemzug, jeder Pulsschlag ist ein Genuss, so muss sich das Paradies anfühlen. Um genau so eine Wiedergeburt zu erleben, muss man aber erst unsägliche Qualen ertragen, bestialisch Leiden, und vor allem dem Tod tief tief ins Auge blicken.

Der Truck rumpelt am Shala in den Nordalbanischen Bergen in Richtung Einsatzstelle, wir haben zuvor komfortabel im verlassenen Krankenhaus des kleinen Örtchens übernachtet, Freunde gefunden uns bei Speis und Trank von den Abenteuern der letzten Tage erholt. Ich sitze auf dem Beifahrersitz ganz aussen und kann immer wieder den türkis blauen Shala vorbeirauschen sehen, gleich werden wir die Kajaks zu Wasser lassen und ich freue mich sehr. Ich gebe den Shuttle Fahrern noch einige kurze Tipps während wir dahinzockeln, Felswände kommen nah an den Aufbau unseres THW Trucks, gerade wenn er sich durch Unebenheiten Aufschaukelt. Besondere Aufmerksamkeit muss auf das weiträumige ausfahren der Kurven gelegt werden, niemals zu nah an den Abhang kommen!

Machmal ist man sich nicht sicher ob man so etwas noch sagen muss, immerhin sind die Shuttlefahrer ja erfahrene Lenker, ich tat es trotzdem, gleich einige hundert Meter nach dem Start der Fahrt. Doch alles läuft super, der Truck rumpelt sicher über den Weg, der Abstand zur Kante ist gross genug, Felswände sind nicht in Sicht.

Unvermittelt bewegt sich meine Seele aus meinem Körper heraus, mein Geist schwebt über dem Auto, der Truck bewegt sich unter mir in Zeitlupe, ich habe die Vision wir stürzen in den Abgrund.

Mit einem Ruck bin ich wieder im Truck, und Schreie Klausiiiiiiiii!, meine Hände wollen zum Lenkrad greifen, es ist aber ist unerreichbar fern, alles läuft jetzt in Ultra Zeitlupe, unter meinem Beifahrersitz hebt das Vorderrad vom Fels ab, dreht einen winzigen Augenblick leer in der Luft, die Achse, mein Sitz, der Truck, wir alle folgen dem leerlaufenden Rad in Richtung Fluss, ich sehe nur noch grüne Büsche unter mir, mein Magen verkrampft, das vordere Differenzial berührt den Fels, gräbt sich in zäher Langsamkeit knirschend in den Grund, Steine spritzen erschreckt auf, die Lenkstange schiebt sich dämpfend in den aufgewirbelten Dreck, die Hinterachse, wir haben Zwillingsreifen! Mein geistiges Auge wandert unter dem Fahrzeug entlang, nur staub, ächtzendes Metall, da sehe ich die Reifen, wir rutschen, das Differenzial vorn bremst noch weiter und gräbt sich in den Weg, Felsen werden weggewischt, die Reifen hinten drehen sich immer noch, noch 30 cm, 25, 20, 10 der erste Zwillingsreifen dreht in der Luft, der ganze blaue Truck schüttelt sich und lehnt sich zum Fluss, diese Kippbewegung hält nichts mehr, der zweite Zwilling hat noch Grip, 20, 15, 10, 9, 8cm, wir stehen. Lähmende Stille, Druckluft zischelt leise, der riesige Dieselmotor vorn unter uns hat auch den Abgrund erblickt, er geht aus, wird still, wie auch wir.

Schnell alle Raus, sagt jemand und ich erwache aus der Zeitlupe, Sekunden später stehen wir auf dem Weg, neben uns wippt der Truck auf der Kante. Wir holen tief Luft, der Atem schmeckt auf einmal köstlich, alles fühlt sich so frisch so lieblich an, wir sind im Paradies neu geboren worden.

Der Geschmack von süße verliert sich zu schnell, Wurfsäcke fliegen, Sicherungen werden gelegt, du lieblicher blauer Truck, du gehörst doch auch zu uns, wir halten Dich wir retten dich, wie du uns gehalten hast!

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